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Buchtipps von CHIRONDO

Der überflüssige Mensch

Ostern ist geschafft. Gott Sei Dank. Endlich nur noch vereinzelte Schokoladenosterhasen in den Regalen der Supermärkte. Denen droht nun die Einschmelzung, um als Weihnachtsmänner ab Mitte September den Zivilisationskranken darauf hinzuweisen, dass die Konsumglocke wieder klingelt.

Ich lächle hämisch zu denen hinüber, während ich meinen Wagen durch die abstandsoptimierten Gänge schiebe. Jedes Mal, wenn mir ein anderer Wagen entgegenkommt, danke ich den lieben Kollegen der Marktpsychologie.

Sie haben daran gedacht, die Gänge auf die Größe der Wagen so abzustimmen, dass wir nur langsam aneinander vorbeikommen und der Blick lange genug im Wagen des Gegenübers hängen bleibt, um sich zu fragen – was hat er, was ich nicht habe und evtl. bräuchte.

Bin ich, was ich konsumiere?

„Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein!“ titelte eine bekannte Drogeriekette vor nicht allzu langer Zeit. Das gilt sicher auch für Supermärkte. Ich bin gerade ein bunter Mix aus grellen Tüten und Verpackungen, die mir eine süße Verheißung und eine Geschmacksexplosion versprechen. Wenn ich bin was ich kaufe bin – bin ich echt ein „Süßer“ – denke ich noch so bei mir, und komme erneut an den Osterhause vorbei.

Der Mensch als Konsument

Ilija Trojanow beschreibt dieses Phänomen in seinem Buch „Der überflüssige Mensch“ sehr eindringlich. „Wer nicht konsumiert – existiert nicht!“ Der bulgarische Autor benötigt lediglich knapp 100 sehr verständliche Seiten, um uns die Absurdität unseres Systems vor Augen zu führen.

Das wir NUR als Konsumenten bedeutsam sind, verdeutlicht der Autor an einem sehr schönen Beispiel. Die Metro Group hat in ihren Supermärkten inzwischen MEA´s (mobile Einkaufsassistenten) im Einsatz. Mit Hilfe eines digitalen Einkaufszettels findet der Kunde seine Produkte, scannt diese selbständig ein und hält sein Smartphone an der Kasse vor ein Lesegerät, um per App die Abbuchung vorzunehmen. Was dabei eingelesen wird – wer weiß dass schon.

Früher saß dort eine Kassiererin. Sie hat mich beim Einkauf meines Fleisches gefragt, ob das etwa Gulasch werden soll und mich darauf hingewiesen, was in meinem Wagen zu echtem Gulasch noch so alles fehlt.

Während Sie das hier lesen – wird irgendwo in der Welt Jemand dafür trainiert, Ihren Job zu machen – ohne Urlaub, ohne Krankheit und ohne Widerspruch. Einfach, sauber, digital.

Mehr Technik und trotzdem nicht weniger Arbeit

Aber warum arbeiten wir dann gefühlt immer mehr? Wir arbeiten, obwohl wir maschinell längst einen Produktionsstand erreicht haben, der es uns erlauben würde, deutlich weniger zu arbeiten. Um die Jahrhundertwende reichte der Wertschöpfungsbeitrag eines Landwirts aus, um 4-5 Personen zu ernähren. Heute erwirtschaftet ein Landwirt einen volkswirtschaftlichen Beitrag, dass 120 Menschen davon leben können. Trotz dieses faktischen Wohlstandes geht es uns aber nicht besser. Wir haben ein Verteilungs- und keine Versorgungsproblem.

Beim Lesen des Buches wird psychologisch klar, warum unsere Gesellschaftsordnung durch viele kleine Impulse immer dafür sorgt, dass wir mehr arbeiten, als nötig. Das ganze Mal als Gedankenexperiment.

Ein Gedankenexperiment zu Arbeit und Konsum

Kaum jemand hat Arbeit, die ihm in Umfang und Inhalt jeden Tag unglaublich viel Freude macht. Viele arbeiten, um Verpflichtungen zu erfüllen und/oder den Lebensstandard zu halten. Somit stellt Arbeit in unserem System eine bedingte Einschränkung unseres freien Willens dar. Und für diese Einschränkung belohnen wir uns – indem wir etwas konsumieren.

Jetzt stellen Sie sich vor, sie würden nach 3 oder 4 Stunden Arbeit aufhören und einfach etwas tun, was Ihnen Spaß macht. Sie hätten deutlich weniger Bedürfnis zu konsumieren, um sich zu belohnen, weil das, was sie TUN, ihre Belohnung ist. Das Gefährliche daran: Wenn EIGENES TUN lohnender als konsumieren ist – wer kauft dann all die Dinge, die wir produzieren?
Und ja, ggf. werden auch Sie dann auf Teilzeit gesetzt, wenn die Produkte Ihrer Firma niemand mehr in der gewohnten Menge kauft. Aber wen stört es dann? Doch nur die, die inzwischen geistig so verarmt sind, dass deren EIGENES TUN keine Belohnung mehr für sie darstellt. Wir sollten uns vor denen hüten, die viel arbeiten…

Mut zum eigenen TUN

„Visionäres Denken und konkretes Handeln schließen sich nicht aus“ sagt Trojanow. Und weil wir „nicht darauf warten können, dass uns das Paradies nach dem Zusammenbruch des Systems wundersam in den Schoß fällt“ muss die Revolution von morgen schon heute im Kleinen beginnen. In Nischen und in Strukturen, die Freiheit vom Konsum und Mut zur Belohnung durch eigenes TUN bedeuten.

Ich gehe zurück. Vorbei an den Osterhasen, die hämisch lächeln, als ich meine Produkte zurück ins Regal stelle. Ich verlasse den konsumoptimierten Einkaufstempel, um im teureren Regionalwarenladen gegenüber Produkte aus heimischer Herstellung zu holen. Weniger bunt, weniger haltbar, weniger Einheitsform und Einheitsfarbe – ganz individuell. Und wenn ich bin, was ich kaufe, werde ich so zum frei(-eren) Individuum.

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    Über Doreen Beier

    Die Menschen- und Pferdekennerin coacht mit ihren Pferden Führungskräfte aus ganz Deutschland. Ihr Buch „Überholen mit 1 PS – Wie Manager von Pferden lernen“ erzählt amüsant und selbstkritisch zugleich die Geschichte von CHIRONDO, erläutert psychologisches Basiswissen und liefert detaillierte Beschreibungen der Trainingsmethoden. Als Blog-Autor schreibt sie zu Führungsthemen, gibt Einblicke in die CHIRONDO Welt und stellt ihre Vision des modernen Führungskräfte-Trainings vor.
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    Autor: Doreen Beier am 4. Mai 2015 08:41, Rubrik: Buchtipps von CHIRONDO, Literatur / Buchtipps, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentare geschlossen.

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